Samstag, 26. September 2015

Wolf Hamm: Literatur auf Hundepfoten: Frisch zielwärts



Achter Tag
O je! Irgendetwas muss ich gestern falsch gemacht haben. Als Mira mich sah, drehte sie sich weg und schloss sich demonstrativ einer anderen Gruppe an. Wenn ich mich ihr näherte, lief sie weg. Was hab ich nur falsch gemacht? Sind solche Hündinnen so empfindlich? Was ist sie überhaupt für eine Rasse? Ist mir doch gleich. Ich liebe sie! Zweimal hat sie mich weggebissen.
Und Auguste nervte auch. Sie las doch heute ihre Gedichte vor und Vaclav hat sie übersetzt und auf Tschechisch vorgetragen. Den halben Weg von Chudenice nach Merklin sagte sie immer wieder ihre Gedichte auf. Ich kann sie schon auswendig. Vaclav tröstete sie: „Du hast wunderbare Bilder gefunden. Deine Sprache glitzert wie ein Rubin? Deine Seele zeigt sich in dieser Zeile von edler Größe.“
Ich sah vor meinen Augen Auguste direkt zerschmelzen vor Glück über die Worte.
Am Nachmittag trottete ich dann einsam nach Merklin hinein, gemieden von Mira. Von Vaclav und Auguste zog ich mich zurück, wie die Schicklichkeit es fordert. Denn sie verschwanden ab und zu im Wald, um zu üben.
Fünf Minuten vor Beginn ihrer Lesung: großes Theater. Ganz ruhig sagte die Lyrikerin: „Ich lese nicht.“ Ich bellte ihr Ermutigung zu. Trotzdem: Vier Minuten vor Beginn: „Nein, ich lese nicht. Die lachen mich doch nur aus!“ Vaclav sank auf die Knie: „Sie werden dich anbeten!“ Trotzdem: drei Minuten vor Beginn. „Ich lese nicht. Die buhen mich doch nur aus!“ Die Leiterin der Wanderung sagte nur. „Du hattest doch immer Erfolg. Und dieses Theater hattest du doch schon bei der letzten Lesung in Regensburg gemacht. Jetzt komm!“ Man zog und schob sie zum Pult. Dort stotterte Auguste den Beginn zusammen.
Und plötzlich war sie wie verwandelt: Sie lockte mit ihrer Stimme die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich, sie führte sie von Gefühl zu Gefühl, von Problem zu Problem, von Wort zu Wort –
und hatte einen rauschenden Erfolg.
Ich weniger. Man holte meine Schlafdecke aus ihrem Zimmer und legte sie in den Vorraum des Hotels.
Keine Gute Nacht!

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